Auf einen Blick: Rituale zur Sommersonnenwende |
Noch heute freuen wir uns, wenn mit dem Sommer neue Energie in unser Leben einkehrt – kaum vorstellbar, welch zentrale Bedeutung die Sonne früher für das Leben der Menschen gespielt haben muss. Wenn zwischen dem 19. und 22. Juni die kürzeste Nacht des Jahres stattfindet, wird das in vielen Kulturen seit jeher feierlich begangen.
Die zwei Sonnenwenden markieren im Jahr die Punkte mit dem größten Licht und Dunkel. Dabei hat das englische Wort „solstice” seinen Ursprung im lateinischen „sol” für Sonne sowie „sistere” für stillstehen. Und tatsächlich befindet sich die Sonne im Moment der Sommersonnenwende am nördlichsten zur Erde, scheint kurz stillzustehen und ändert dann am Horizont langsam die Richtung – sie „wendet” sich.
Der Zeitpunkt der Sonnenwenden dürfte eine der frühesten astronomischen Beobachtungen in frühen Kulturen gewesen sein. Da das Überleben nicht zuletzt von Sommer und Winter abhing, waren die beiden Daten wichtige Fixsterne in ihrem Jahreskreis. Heute können die Rituale uns mehr denn je daran erinnern, wie unverrückbar wir mit der Natur verbunden sind.
Die Sonnenwende und die Überflutung des Nils
Genau zweimal im Jahr – zu den Sonnenwenden – geht die Sonne exakt zwischen der Cheops- und der Chephren-Pyramide unter. Was für uns ein faszinierender Anblick ist, könnte für die alten Ägypter eine noch weitaus tiefere Bedeutung gehabt haben.
Sie beobachteten, dass zeitgleich mit der Sommersonnenwende auch der Sirius wieder erschien, der hellste Stern an unserem irdischen Nachthimmel. Kurz darauf trat jährlich der Nil über die Ufer und machte das Land fruchtbar. Man erzählte, dass Isis, die Göttin der Fruchtbarkeit, Tränen um ihren toten Mann Osiris weinte und so den Fluss überlaufen ließ.
Daher wurde zu diesem besonderen Anlass nicht nur Isis, als eine der am meisten verehrten Göttinnen, sondern auch das neue Jahr gefeiert. Unmittelbar danach folgte die Aussaat auf den nun durchfeuchteten Böden, die später die Ernte hervorbringen sollten.
Leuchtende Blumenkränze an Iwan Kupala
Die Sommersonnenwende wird in Russland, Weißrussland, Polen und der Ukraine als Iwan-Kupala-Nacht gefeiert. Der Begriff setzt sich aus dem Namen Iwan (der russischen Bezeichnung für Johannes den Täufer) sowie dem russischen Wort für „baden” zusammen.
So spielt das Wasser in dieser Nacht auch eine große Rolle: Junge Frauen geben gemäß der Tradition Blumenkränze ins Wasser, die mit brennenden Kerzen geschmückt sind. Anhand der Art ihres Treibens lesen sie ihre eigene Zukunft ab.
Zudem wird ein Feuer entzündet und junge Pärchen springen gemeinsam darüber, da dies Glück bringen soll. Nach alter Überlieferung sollen sich in dieser Nacht außerdem die Blüten der Farne kurzzeitig öffnen und magische Kräfte besitzen, die sie dem Finder verleihen.
Mittsommar in Schweden
Natürlich darf in der Aufzählung auch Mittsommar nicht fehlen, welches in Schweden nach Weihnachten als zweitwichtigstes Fest gilt. Heute wird es jedes Jahr am Samstag zwischen dem 20. und 26. Juni gefeiert.
Oft tragen die Feiernden Trachten und weiße oder blumige Kleider und setzen sich geflochtene Kränze aus Blumen oder Birkenzweigen auf. Auch hier wird zum Abend ein großes Feuer entzündet.
Früher glaubte man, dass der Tau an diesem Morgen kranke Menschen und Tiere heilen konnte und sammelte ihn daher in einer Flasche. Unverheiratete Frauen pflückten in dieser Nacht sieben Blumen von sieben verschiedenen Wiesen und legten sie unter ihr Kopfkissen. Danach sollten sie von ihrem zukünftigen Ehemann träumen – durften aber niemandem erzählen, wen sie gesehen hatten, damit der Traum in Erfüllung ging.
Leuchtende Berge in Österreich
Die Bergsonnenwend ist eine Tradition, die seit dem Mittelalter dokumentiert ist. Dabei werden die Bergspitzen und Abhänge der österreichischen Alpen erleuchtet. Das soll die Kraft der Sonne verstärken und Unheil fernhalten. Wie genau das aussieht, ist von Region zu Region unterschiedlich:
Das Sonnwend-Bergfeuer der Tiroler Zugspitz-Arena gilt sogar als immaterielles UNESCO-Kulturerbe. Dort sind es Feuermotive und Skulpturen, die von den Hängen der Alpen leuchten.
Besonders faszinierend ist das Spektakel auch in Grainau an der Zugspitze: Dort verwandelt sich mit Einbruch der Dunkelheit der gesamte Waxensteinkamm zu einer langen Lichterkette. Teilweise befinden sich die Feuerstellen auf sehr schmalen Felsen und Graten und müssen auch dort entfacht werden. Letzteres gilt oft als Mutprobe für junge Männer aus der Region.
Dein Ritual zum Sommerbeginn
Mit der Sommersonnenwende beginnt für uns auf der nördlichen Halbkugel der langersehnte Sommer – doch während wir den längsten Tag des Jahres zelebrieren, heißt das auch, dass die Nächte von da an langsam länger werden: Indem Licht und Dunkel sich gegenseitig bedingen, ist das eine im Kreislauf der Natur schon im anderen inbegriffen.
Und dennoch dürfen wir uns von jetzt an für eine ganze Weile auf lange Sommertage und laue Sommernächte freuen. Denn so wie zur Wintersonnenwende im Dezember die längste Zeit des Winters noch bevorsteht, halten spätestens von jetzt an die warmen Temperaturen Einzug (ein Phänomen, das meteorologisch als saisonale Verzögerung bezeichnet wird).
Egal ob wir uns einfach nur auf die kommenden Sommertage freuen oder den Tag sogar feierlich begehen: In jedem Fall ist die Sommersonnenwende voll von Hoffnung auf einen langen Sommer – oder wie es in „The Great Gatsby” so schön heißt: In uns regt sich „die vertraute Gewissheit, dass das Leben mit dem Sommer neu beginnt.”