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Umgang mit Schmerz

Körpergefühl 09.11.20 8 min. lesezeit

Schon Schmerzen, die nach einem kurzen Moment wieder vergessen sind, können Dich beeinträchtigen. Doch was, wenn der Schmerz bleibt, was, wenn er zu einem unliebsamen Hausgast geworden ist, der Dein Leben nicht sofort verlassen will? Dann kann es wichtig sein, Deinem Hausgast einmal zuzuhören, ihn nicht zu verteufeln. Gib ihm das richtige Maß an Aufmerksamkeit und gehe aktiv gegen ihn vor, wenn er Dich besucht. Dafür ist es wichtig, dass Du den Unterschied zwischen Schmerzintensität und Schmerzwahrnehmung kennst. Außerdem hilft es Dir, wenn Du Dich aktiv mit dem Schmerzkontext auseinandersetzt, um dieses Signal Deines Körpers besser zu verstehen.Abschließend gibt Dir This Place verschiedene praktische Tipps, um Dir den Umgang mit Schmerz zu erleichtern. 

 

 

Schmerz gilt zu Recht als die Grunderfahrung im Leben, als unumgänglicher Fakt, der sich beim besten Willen nicht leugnen lässt. Joseph Beuys sagte einmal: „Es geht nicht ohne Schmerz – ohne Schmerz gibt es kein Bewusstsein.“ Schmerz zeigt uns Grenzen auf und lehrt uns Dinge über uns selbst. Schmerz hat viele Gesichter. Er kann auch, wie bei Beuys, zum mächtigen Motor für Produktivität werden.

Wenn du gerade unter akuten Schmerzen leidest, scheint es dir da vermutlich erstmal wenig hilfreich, dass man sich als vernunftbegabtes Wesen die Existenz von Schmerz durchaus rational erklären kann: Er warnt vor drohendem oder erfolgtem Gewebeschaden, weist uns darauf hin, dass etwas nicht stimmt und – vorausgesetzt wir schenken ihm die nötige Beachtung – hält uns davon ab Dinge zu tun, die uns schaden. Schmerz ist als Lehrmeister so grausam wie effektiv.

Herkömmliche Behandlung von Schmerz

Die Behandlung von akutem Schmerz erfolgt in der Regel, ziemlich straightforward, durch lokale Betäubung (Spritze beim Zahnarzt) oder durch klassische Schmerzmittel. Auch Kälte kann bei kleineren Verletzungen, z. B. nach einer Prellung beim Sport, Abhilfe schaffen (PECH-Regel: Pause, Eis, Kompression, Hochlagern).

Zur Behandlung akuter Schmerzzustände stehen also vom altbewährten Hausmittelchen bis hin zu modernen und hocheffektiven Schmerzmitteln einige alternativen zur Verfügung. Erstmal also gute Nachrichten.

Was, wenn nichts mehr hilft?

Was, wenn der Schmerz sich längst verselbstständigt hat, zum „unliebsamen Hausgast“ geworden ist, wie ihn Friedrich Schiller einmal bezeichnete, der selbst 14 Jahre lang an chronischen Schmerzen litt.

Eins ist jedenfalls klar: Wer unter chronischen Schmerzen leidet, muss es irgendwie schaffen, sich damit zu arrangieren. Die Wege, die dabei eingeschlagen werden, können so unterschiedlich sein, wie die Menschen und ihre Schmerzwahrnehmung selbst.

In welcher Art und wie stark ein Schmerz nämlich empfunden wird, hängt neben biologischen Faktoren wie Geschlecht, Alter und genetischer Ausstattung auch von psychosozialen (z. B. Depressionen, Ängste oder schlechte Erfahrungen in der Vergangenheit) und kulturellen Faktoren, sowie vom Schmerzgedächtnis ab (über das Schmerzgedächtnis kannst du im ersten Artikel dieser Miniserie mehr erfahren).

Schmerzintensität vs. Schmerzwahrnehmung

Es wird deutlich, dass Schmerzintensität und Schmerzwahrnehmung zwei völlig verschiedene Paar Schuhe sein können. Wir könnten uns daher fragen, wie wir unser Schicksal ein Stück weit selbst in die Hand nehmen können. Auf die Schmerzintensität hat man oft keinen großen Einfluss – abgesehen natürlich vom Einsatz von Schmerzmitteln, der natürlich immer in Absprache mit deinem behandelnden Arzt erfolgen muss und daher hier nicht weiter Thema sein soll. Nur eines sei an dieser Stelle angemerkt: Schmerzmedizin ist ein eigener Fachbereich. Es gibt speziell ausgebildete Schmerztherapeuten, die, den Fokus immer auf die Behandlung von Schmerzen gerichtet, verschiedene Fachbereiche der Medizin im Blick haben. Will man sich eine frustrierende Irrfahrt von Arzt zu Arzt ersparen, sollte man unbedingt in Erwägung ziehen, sich in die Hände eines solchen Spezialisten zu begeben.

Kontext kann entscheidend sein.

Dennoch gibt es zahlreiche Dinge, die ich selbst tun kann, um mich mit dem „ungebetenen Hausgast“ zumindest etwas besser zu arrangieren. Diese Dinge zielen in den meisten Fällen vor allem auf die Schmerzwahrnehmung ab. Um uns die Bedeutung bewusster gedanklicher Prozesse zu verdeutlichen, können wir ein kleines Gedankenexperiment machen: Stell dir vor du wachst mitten in der Nacht auf. Während du schlaftrunken zur Toilette torkelst, bemerkst du Schmerzen in deinem Oberschenkel. Die ersten paar Sekunden bist du vielleicht noch zu schläfrig, aber dann fällt es dir wieder ein: Gestern beim Sport hast du ein spezielles Work-out für die Beine ausprobiert – offenbar erfolgreich.

Was wirst du wohl du bei diesem Gedanken in Bezug auf den Schmerz im Oberschenkel fühlen? Die Intensität wird sich vermutlich durch die Erinnerung an dein Work-out nicht verändern. Die Wahrnehmung jedoch schon. Und zwar ziemlich krass: Wenn du nämlich so tickst, wie die meisten, fühlst du dich vielleicht sogar gut dabei – schließlich zeigt dir der Schmerz, dass dein Work-out einen Effekt hatte. No pain, no gain und so.

Und um dir jetzt zu verdeutlichen, wie sehr deine Erinnerung deinen nächtlichen Toilettengang beeinflusst, stell dir einfach mal vor, als Gegenbeispiel sozusagen, dass es kein Work-out gab. Weder gestern noch am Tag davor. Mir persönlich würde es da schon etwas anders zumute werden. Mit einer entsprechenden Erinnerung könnte ich jedenfalls deutlich beruhigter wieder einschlafen als ohne.


Was will mein Schmerz mir sagen?

Im o. g. Beispiel ist die Sache klar – das Zauberwort heißt Kontext: Wenn ich weiß, woher der Schmerz kommt, was er zu bedeuten hat, kann mein Verstand ihn einordnen. Ich muss mir nicht das Hirn zermartern, welche schrecklichen Krankheiten dahinterstecken könnten und wie viel Zeit mir noch bleibt, um mich von meinen Liebsten zu verabschieden. Kontext ist für uns unglaublich wichtig. Wenn wir wissen, warum etwas passiert, was es zu bedeuten hat und was sich daraus für Konsequenzen für uns ergeben, können wir Dinge besser einordnen. Das gilt für Schmerz ganz besonders. Es kann also nicht schaden, sich in aller Ruhe und möglichst unaufgeregt mit seinem Schmerz zu beschäftigen – was hat er zu bedeuten, was will er mir sagen, worauf weist er mich hin?

So simpel das klingen mag – viele begegnen ihrem Schmerz mit einer grundsätzlich anderen Geisteshaltung, nämlich mit inneren Durchhalteparolen. Schwäche zeigen kann ich nicht, schließlich lasten Erwartungen auf mir, die erfüllt werden wollen. Sich dann einzugestehen, dass der Schmerz zum unliebsamen Hausgast, zu einem Teil von mir geworden ist, dem ich unweigerlich auch Platz einräumen muss, kann sich anfühlen wie Kapitulation. Diese Denkweise ist nicht verwunderlich; wem sind Sprüche, wie „Ein Indianer kennt keinen Schmerz“ aus seiner Kindheit nicht bekannt?

Das richtige Maß an Aufmerksamkeit

Und es stimmt ja auch: Dreht sich alles in unserem Kopf allein um unseren Schmerz, gibt es keinen Raum für anderes, auch nicht für Schönes und Wichtiges. Unser Verstand kann sich immer nur mit einer begrenzten Anzahl an Dingen gleichzeitig beschäftigen. Genauso wichtig also, wie eine gründliche, ehrliche und liebevolle Auseinandersetzung mit unserem Schmerz, ist es, diesen gedanklichen Prozess zum Abschluss zu bringen. Es wird deutlich, dass ein innerer Kampf gegen den Schmerz im Grunde das Gegenteil bewirken muss, denn Durchhalteparolen werden ihn kaum beeindrucken. Was bleibt ist der zusätzliche Raum, den ich dem Schmerz quasi im Kampf kampflos überlasse. Einfach schon dadurch, dass ich gegen ihn ankämpfe. Der Schmerz lässt sich nicht wegdenken – warum also diese Energie nicht für andere Dinge nutzen.

Das sollte dann allerdings auch wieder nicht so weit gehen, dass daraus Verhaltensweisen entstehen, die in erster Linie auf Vermeidung abzielen. Leidet man z. B. in bestimmten Situationen an Rückenschmerzen, kann das dazu führen, dass man diese durch Schonhaltung gezielt zu vermeiden versucht. Im Extremfall kann das genau zum Gegenteil davon führen, was ursprünglich beabsichtigt war: Ein bestimmter Bereich des Körpers wird übertrieben geschont; hier kommt es schließlich zu Muskelabbau, was die Schmerzempfindlichkeit wiederum erhöht. Die kurzfristige Linderung wurde teuer und zulasten langfristiger Heilung erkauft.


Mind over matter?

Unsere innere Haltung kann also ganz wesentlich zur Schmerzwahrnehmung beitragen. Negative Gedanken, wie „da kann mir ja doch keiner helfen“ erhöhen nicht nur den Leidensdruck; sie führen außerdem zu passiven Verhaltensweisen und hinterlassen das unbarmherzige Gefühl der Hilflosigkeit. Eine aktive Herangehensweise wäre hier klar von Vorteil – ich bin nicht dazu verdammt, von der Zuschauerbank tatenlos zuzusehen, wie mein Schmerz die Kontrolle über mein Leben übernimmt. Ich kann selbst aktiv werden – ich kann meinen Schmerz nicht vertreiben, aber ich kann lernen, mich mit ihm zu arrangieren. Für meinen Alltag, mein Leben, kann dieser Unterschied die Welt bedeuten.

(Wenn du willst, nehmen wir dich im dritten (und letzten?) Teil dieser Miniserie mit und erkunden eine achtsamkeitsbasierte Möglichkeit, deinen Schmerz mal aus einem anderen Winkel zu betrachten.)

Eins sollte bei alledem stets klar sein: Wie stark oder „schlimm“ ein Schmerz ist, entscheide ich allein. Zwar liegt einem Schmerz in den meisten Fällen irgendeine Art von Gewebeschaden zugrunde und oft kann dieser auch auf irgendeine Weise erfasst und gemessen werden. Aber eben nicht immer. Schmerzen können, wie wir oben bereits gesehen haben, auch unabhängig von (potenziellen) Gewebeschäden entstehen. In solchen Fällen ist ein „Sie haben nichts!“ vom behandelnden Arzt nicht nur nicht hilfreich, sondern kann für Betroffene regelrecht einem Schlag ins Gesicht gleichkommen. Nebenbei könnte das auch als Signal verstanden werden, dass man vielleicht bei einem anderen Arzt, einem für den Empathie und Warmherzigkeit keine Fremdwörter sind, besser aufgehoben wäre. Schmerzen bildet man sich nicht ein – und selbst wenn doch, muss das noch nichts darüber aussagen, ob und wie sehr man darunter leidet.

Ein paar praktische Möglichkeiten

Für die Zwischenzeit und diejenigen unter uns, die es eher etwas weniger abstrakt bevorzugen, gibt es auch noch ein paar ganz handfeste Tipps, die ihr im Umgang mit eurem unliebsamen Hausgast ausprobieren könntet.

Yoga

Mittlerweile sollte es kein Geheimnis mehr sein, dass Yoga auch im Umgang mit Schmerzen eine enorme Hilfe sein kann. Genau wie Achtsamkeitstraining oder Meditation geht es hierbei nicht darum, den Schmerz in seiner Ursache auszuschalten, sondern durch gezielte Übung deinen Stresslevel zu reduzieren – und das wiederum hilft dir dabei, auch mit Schmerz besser umgehen zu können. Nebenbei bemerkt ist das auch der Mechanismus den einige Forscher vermuten, wenn zwar einige Patienten berichte dass Cannabis ihnen bei Schmerzen hilft, andere hingegen nicht. Die Theorie:

Wärme

Auch die wohltuende Wirkung von Wärme ist nicht zu unterschätzen, und das gilt sowohl im physikalischen Sinne, als auch für die Wärme in einer Berührung oder Begegnung.

Kreative Betätigung

Sei kreativ! Künstlerische Betätigung, egal in welcher Form, fordert uns auf vielen verschiedenen Ebenen. Ob du nun lieber malst, schreibst, dich in Jonglage übst oder musizierst – es tun sich neue Sichtweisen auf, vielleicht auch auf uns und unseren Zustand. Schmerz kann auch direkt künstlerisch verarbeitet und so, wenigstens zum Teil, externalisiert und greifbar gemacht werden. Der Fantasie sind dabei keine Grenzen gesetzt.

Sport und Ernährung

Sport & Ernährung sind ebenfalls wichtige Faktoren, die sich auf so ziemlich jeden Bereich unseres Lebens auswirken: auch darauf, wie wir Schmerzen wahrnehmen. Fleisch und tierische Fette enthalten Arachidonsäure und daraus entstehen Prostaglandine, die uns schmerzempfindlicher machen. Auch Kohlenhydrate und Zucker haben diesen Effekt, weil sich Zucker in Form von Fett ablagert und Entzündungen auslösen kann. Ganz im Gegensatz zu Omega-3 Fettsäuren, denen eine entzündungshemmende Wirkung nachgesagt wird. Übergewicht wiederum ist eher ungünstig, denn hierdurch können Schmerzen nicht nur schlimmer werden, sondern überhaupt erst entstehen.

Fazit

Was nun der „richtige“ Umgang für deinen Schmerz ist, können wir dir leider nicht sagen. Dafür ist Schmerz (und bist du) viel zu individuell. Vielleicht ist bei dem oben Genannten genau das Richtige für dich dabei. Vielleicht ist es auch eine Kombination aus verschiedenen Ansätzen und vielleicht, hilft dir nichts von alledem. Das ist aber vielleicht auch gar nicht so wichtig. Für den Anfang könnte ja schon viel damit gewonnen sein, wenn wir uns bewusst machen, dass Schmerz keine Einbahnstraße sein muss. Der „unliebsame Hausgast“ lässt sich vielleicht nicht rausschmeißen – aber vielleicht können wir uns ja ein bisschen besser mit ihm arrangieren.

Eine Möglichkeit, die wir dabei besonders spannend finden ist Achtsamkeitstraining und wir laden dich herzlich ein, das Ganze im dritten Teil unserer Miniserie mit uns auszuprobieren.

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